Habe ich ADHS? Die Chancen und Gefahren von Selbstdiagnosen

21. Mai 2025

"Warum kann ich mich nicht konzentrieren?" "Warum bin ich so vergesslich?" “Woher kommt meine ständige Unruhe?” 

Wenn Sie sich solche Fragen stellen, sind Sie nicht allein. ADHS war lange Zeit eher als Diagnose bei Kindern und Jugendlichen bekannt. Aber was, wenn die Störung bis ins Erwachsenenalter unentdeckt bleibt? Immer mehr Erwachsene erkennen bei sich Anzeichen von ADHS – oft angeregt durch Social Media oder Online-Tests.

Selbsttests und Selbstdiagnosen sind generell umstritten – schließlich sind Laien nicht qualifiziert, medizinische Diagnosen klar zu erkennen. Andererseits ist eigene Recherche oft der einzige Weg für Betroffene, sich Ihrer Diagnose anzunähern und bei medizinischem Personal für sich einzustehen. Eine Selbstdiagnose mit ADHS kann der Anfang sein, um langjährige Probleme zu verstehen und den Schritt zu einer professionellen Untersuchung und Diagnose zu gehen.

Dieser Beitrag untersucht die Chancen und Risiken von Selbstdiagnosen und gibt Ihnen Tipps, wie Sie verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten und Wegen zu einer Diagnose umgehen können. 

Was ist ADHS? Symptome und Diagnose von Erwachsenen 

Definition von ADHS

Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (abgekürzt: ADHS) ist eine psychische Entwicklungsstörung. Sie tritt im Kindesalter bei ca. 5–7% aller Kinder auf. Dass Erwachsene betroffen sein können, war lange Zeit nicht klar – jedoch ist mittlerweile bekannt, dass bei vielen Betroffenen die Symptome mit dem Erwachsenenalter weiter bestehen. Wenn im Verlauf der Kindheit keine offizielle Diagnose gestellt wurde, können demnach Erwachsene mit ADHS mit Symptomen kämpfen, für die sie (noch) keine Erklärung haben.

Was ADHS verursacht, ist wissenschaftlich nicht vollständig geklärt. Vermutlich spielen zum Beispiel eine genetische Veranlagung und Komplikationen in der Schwangerschaft oder Geburt eine Rolle. 

Typische ADHS-Symptome bei Erwachsenen

Die drei typischsten Symptome von ADHS bei Kindern sind:

  1. Aufmerksamkeitsdefizit
  2. Hyperaktivität
  3. Impulsivität

Sie können bei Erwachsenen nicht in derselben Weise beobachtet werden, wie bei Kindern.

Die Störung der Aufmerksamkeit äußert sich nahezu gleich bei Kindern und Erwachsenen: Vielleicht haben Sie oft Probleme, sich zu konzentrieren. Sie haben Schwierigkeiten, Ziele konsequent zu verfolgen. Sie sind vergesslich und haben Schwierigkeiten, sich an Absprachen zu halten und im Beruf und Privatleben verlässlich zu sein. Vielleicht fühlen Sie sich unorganisiert oder sind oft unpünktlich

Ein Kind sitzt mit verschränkten Armen allein in einem Klassenzimmer

Foto von RDNE Stock project.

Die oft bei Kindern beobachtete Hyperaktivität ist im Erwachsenenalter normalerweise nicht mehr klar ersichtlich. Durch sozialen Druck und eigene Entwicklung wandelt sich dieses Symptom oft zu einer eher inneren Unruhe. Vielleicht wirken Sie äußerlich und körperlich ruhig, fühlen sich innerlich aber permanent unruhig und getrieben.

Das Symptom der Impulsivität wandelt sich ebenfalls oft während der Entwicklung zum Erwachsenenalter. Während Kinder offensichtlicher impulsiv handeln, können Erwachsene solche sehr auffallenden impulsiven Handlungen teilweise besser unterdrücken. Trotzdem haben Sie aber oft Schwierigkeiten, spontane Einfälle gut genug zu durchdenken und sind ungeduldiger als es vielleicht Situationen angemessen wäre. 

Was ist der Unterschied zwischen ADHS und ADS? 

Das “H” in ADHS steht für die Symptomatik der Hyperaktivität. Hyperaktivität wird normalerweise definiert als übermäßige körperliche Bewegung und Schwierigkeiten, still zu halten. Bei Erwachsenen kann sie sich aber auch eher als innere Unruhe darstellen.

Bei der Aufmerksamkeitsdefizits-Störung ADS ist dieses Symptom ausgenommen und tritt nicht auf. Die Störung besteht hierbei lediglich aus Problemen mit dem kontrollierten Fokussieren, Organisation/Verlässlichkeit, und Impulsivität. 

Vor- und Nachteile von Selbstdiagnosen 

Die Gefahren einer Selbstdiagnose

Viele psychische Symptome haben eine ganze Reihe an möglichen Ursachen. Sich durch Selbsttests auf eine Diagnose selbst festzulegen birgt die Gefahr, andere Ursachen zu verkennen und sich durch falsche Maßnahmen schlechter statt besser zu fühlen. Eine unerkannte oder fehleingeschätzte Depression oder Schilddrüsenprobleme kann längerfristig schwere Probleme nach sich ziehen.

Eine Fehlbeurteilung der eigenen Symptome als ADHS, wenn sie eigentlich normal sind, oder als normal, wenn eigentlich eine Störung besteht, kann problematisch sein. Sich selbst objektiv zu beurteilen, ist sehr schwer – wir leben immer in unserer eigenen Perspektive. Auch Freund:innen und Familie ist eine objektive Betrachtung von psychischen Symptomen oft nur begrenzt möglich, während medizinisches Fachpersonal genau weiß, worauf zu achten ist.

Bei selbst gestellten Diagnosen erhöht sich oft das Risiko für destruktive Selbstbehandlungen. Wenn Betroffene davon ausgehen, mit einer bestimmten Diagnose zu leben, ohne jedoch professionellen Rat zu erhalten, können manchmal Substanz-Missbrauch und andere Selbstmedikationen die Folge sein. Das ist zusätzlich problematisch, wenn sie die Probleme verschärfen – Alkohol kann beispielsweise ADHS-Symptome verstärken. 

Die Chancen einer Selbstdiagnose 

Der Vorteil einer Selbstdiagnose ist vor allem, dass Ihre Initiative erst einmal zeigt, dass sie sich selbst reflektieren und offen für notwendige Schritte sind. Sich über Ihre Symptome zu informieren kann helfen, sie objektiver einzuschätzen und sich weniger allein zu fühlen.

Durch tiefergehende Recherche und Selbsttests können Sie ein Bewusstsein für eigene Verhaltensmuster entwickeln und sich reflektieren. Die Bestätigung und das bessere Verständnis Ihrer Symptome und möglichen Ursachen können eine hilfreiche Motivation dafür sein, professionelle Hilfe zu suchen.

Viele Menschen leiden an psychischen Symptomen, sind sich aber unsicher, ob diese nicht einfach “normal” sind und professionelle Hilfe nicht angebracht wäre. Andere tragen jahrelang den Verdacht mit sich, an einer Störung zu leiden.

Selbsttests und Klarheit über die Störung und eigene Symptome kann ein hilfreicher Schritt sein, sich selbst besser zu verstehen und eine informiertere Entscheidung darüber zu treffen, ob Sie sich professionell testen lassen möchten. 

Verfügbare ADHS-Selbsttests 

WURS-K

WURS-K steht für die deutsche Kurzform der Wender Utah Rating Scale. Der entsprechende Fragebogen erfasst die Selbsteinschätzung Betroffener zu ihren Symptomen speziell in ihrer Kindheit. 

CAARS

CAARS steht für die Conners’ Adult ADHD Rating Scale. Die Fragen decken acht Bereiche von Symptomen ab:

  • Mangelnde Aufmerksamkeit und Probleme mit dem Erinnerungsvermögen
  • Hyperaktivität und Ruhelosigkeit
  • Impulsivität und emotionale Labilität
  • Probleme mit dem “Selbst”
  • Unaufmerksamkeits-, Hyperaktivitäts- und ADHS-Symptome definiert in den DSM
  • der ADHS-Index 

Selbsttest der WHO

Die Weltgesundheitsorganisation hat ebenfalls einen Selbsttest entwickelt, den Sie als erste Orientierung nutzen können. Das Stern-Magazin hat hier den Test eingebunden. 

Selbsttests von Psycholog:innen und Kliniken 

Einige Kliniken bieten online Selbsttests an. Bei Selbsthilfegruppen in Ihrer Nähe finden Sie ebenfalls häufig kurze, einfache Onlinetests. Wenn Sie eine dieser Quellen nutzen, haben Sie den Vorteil, dass Sie direkt im Anschluss Ansprechpartner haben, bei denen Sie Hilfe und weitere Einordnung Ihrer Ergebnisse finden können. 

Die professionelle ADHS-Diagnose – Sollte ich mich auf ADHS testen lassen?

Ablauf einer professionellen ADHS-Diagnose 

Jede seriöse Diagnose beginnt mit einem ausführlichen Gespräch beim Arzt oder der Ärztin (Anamnese). Sie besprechen die Art, Häufigkeit und Intensität Ihrer Symptome. Dabei wird auf Details eingegangen, wie sich die Symptome konkret im Beruf und im Privatleben zeigen. Wichtig ist auch, wie lange Sie die Symptome bereits haben und wann sie erstmals aufgetreten sind (oft bereits in der Kindheit).

Auch in einer professionellen Untersuchung werden oft standardisierte ADHS-Fragebögen und Tests verwendet. Beispiele hierfür sind WURS-K und CAARS.

Wie bei vielen Diagnosen ist der Ausschluss anderer Ursachen besonders wichtig. Gerade psychische Symptome können oft verschiedenste Ursachen haben. Eine Blutuntersuchung sowie die Abklärung von anderen Problemen wie Depressionen und Schlafstörungen sollte dazu gehören.

Oft treten gerade bei Erwachsenen Folgeprobleme durch den Leidensdruck der unerklärten ADHS-Symptome auf. Einige Betroffene neigen zu Substanz-Missbrauch mit dem Ziel der Selbstmedikation. Der Leidensdruck durch die ADHS-Symptome kann zum Beispiel zu Depressionen und Angststörungen führen. Einige ADHS-Betroffene sind auch zusätzlich im Autismus-Spektrum zu verorten.

Wichtig: Eine psychische Diagnose sollte immer durch Psychotherapeut:innen oder Psychiater:innen erfolgen.

Was bedeutet es, eine psychische Diagnose zu bekommen?

Eine offizielle psychische Diagnose ist mehr als ein “Label”. Eine fachliche Einordnung Ihrer Symptome hat einige Vorteile, die mit einer Selbstdiagnose nicht erreicht werden können:

  • Zugang zu medizinischen Behandlungen auf Basis der Diagnose (Therapie, Medikamente)
  • Klarheit über Ihre Symptome und warum Sie sich fühlen, wie Sie sich fühlen 
  • Ursachen von Problemen verstehen (kann Schuldgefühle erleichtern)

Eine offizielle ADHS-Diagnose schützt Sie vor ineffektiven Selbstbehandlungen und gibt Ihnen (und auch Ihrer Familie und Freund:innen) mehr Klarheit über sich selbst.

Viele Menschen sorgen sich davor, dass eine offizielle psychische Diagnose ihnen einen “Stempel” aufdrückt. Niemand möchte in eine Schublade gesteckt werden und möglicherweise für eine psychische Störung stigmatisiert werden. Fakt ist: Medizinische Diagnosen sind immer vertraulich. Sie können die Vorteile einer fachlichen Einschätzung nutzen, um sich besser zu fühlen, ohne dass Sie das mit Ihrem Umfeld teilen müssen, wenn Sie das nicht möchten. Auch die Entscheidung, Medikamente zu nehmen, liegt immer vollständig bei Ihnen selbst.

Viele Betroffene empfinden eine professionelle Diagnose als Befreiung: Endlich gibt es eine Erklärung für eine oft lange Leidensgeschichte. 

Zwei Arme freudig in die Luft gestreckt, von einem Handgelenk baumeln geöffnete Handschellen

Foto von Pixabay.

Hilfe für Erwachsene mit ADHS: Mögliche Behandlungen nach einer offiziellen Diagnose 

Eine Diagnose ist für viele medizinische Behandlungen von ADHS-Symptomen eine wichtige Voraussetzung.

Oft verschriebene Medikamente zur Behandlung von ADHS-Symptomen enthalten die Wirkstoffe Methylphenidat (Ritalin®) oder Lisdexamfetamin (Elvanse®). Diese steigern die Konzentrationsfähigkeit und dämpfen übermäßig impulsives Verhalten. Sie können ausschließlich unter ärztlicher Kontrolle eingenommen und überwacht werden.

Außerhalb der medikamentösen Unterstützung gibt es praktische ADHS-Coaching-Angebote, mit denen Sie lernen, Ihren Alltag besser zu organisieren. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann helfen, für Sie individuell wirksame Strategien gegen Prokrastination oder Impulsivität zu entwickeln. Eine spezielle Methode für ADHS ist auch das Neurofeedback – eine Art Gehirntraining zur besseren Selbstregulation. 

Fazit und Ressourcen 

Liste von Quellen und Ressourcen 

 

Schlusswort

Eine Selbstdiagnose ADHS kann der Anfang sein, um langjährige Probleme zu verstehen. Doch für eine sichere Diagnose und passende Hilfe für Erwachsene mit ADHS ist der Gang zum Facharzt/der Fachärztin unverzichtbar.

Weitere Infos finden Sie in Ihrer Praxis des Vertrauens – auch viele Apotheken bieten Beratung zu ADHS und Medikamenten an.